Bedeutung der Virusübertragung durch Lebensmittel

Hermann Müller

Eine Betrachtung dieser Problematik hat unter verschiedenen Aspekten zu erfolgen. Einige seien nachfolgend genannt:

    • Die Bedrohung der menschlichen Gesundheit durch den Verzehr mit Viren kontaminierter Lebensmittel.

    • Die Verbreitung von Tierseuchen durch die Verfütterung

      kontaminierter, nicht ausreichend erhitzter Essensreste und

      Speiseabfälle.

    • Die "endogene" Kontamination mit Virusvermehrung im späteren Lebensmittel.

    • Die "exogene" Kontamination des Lebensmittels während seiner

      Gewinnung, seiner Lagerung, dem Transport, dem Verkauf oder der

      Zubereitung.

    • Zwischen Mensch und Tier wechselseitig übertragbare Virusarten.

Die sich aus Punkt 2 ergebende Gefährdung der Tiergesundheit findet vor allem im Tierseuchengesetz, aber auch in einer Reihe weiterer Gesetze und Verordnungen Berücksichtigung und soll hier nicht dargestellt werden.

Im Hinblick auf die Gesundheit des Menschen bedeutsame virale Kontaminationen von Lebensmitteln (vor allem tierischer, aber auch pflanzlicher Herkunft) - sind die

    • Erreger von Hepatitiden, das Hepatitis A-Virus und das Hepatitis E-Virus

    • Poliomyelitis-Virus als Erreger einer Enzephalomyelitis sowie die

    • Erreger von Gastroenteritiden: Small Round Structured Viruses (SRSV), Astrovirus, Rotavirus und Adenovirus.

Alle diese Virusarten sind durch hohe Tenazität und große Infektiosität gekennzeichnet. Sie können mit der Nahrung aufgenommen werden, passieren den Magen, wo sie dessen saures Milieu überstehen, werden resorbiert und gelangen dann in den Körper bzw. infizieren im Dünndarm die Enterozyten, werden vermehrt und mit dem Stuhl wieder ausgeschieden. Durch mangelnde Hygiene können dadurch weitere Lebensmittel und das Trinkwasser kontaminiert werden, oder es kann durch Kontakt zu einer Verbreitung von Mensch zu Mensch kommen. Bei einer mit Erbrechen einhergehenden Erkrankung sollen diese Erreger auch als virushaltige Aerosole weitflächig verbreitet werden können.

Das Hepatitis A-Virus gehört zum Genus Hepatovirus in der Familie der Picornaviridae. Das Hepatitis E-Virus wurde zunächst den Caliciviren zugeordnet; seine taxonomische Stellung scheint jetzt jedoch ungesichert (Berke und Matson, 2000). Beide Virusarten können durch mit Fäkalien verunreinigtes Trinkwasser oder kontaminierte, meistens ungekochte Lebensmittel übertragen werden (für das Hepatitis A-Virus ist jedoch der häufigste Übetragungsweg der enge persönliche Kontakt). Bedeutsam ist, daß das Hepatitis A-Virus bereits 10 bis 14 Tage vor Krankheitsausbruch mit dem Stuhl ausgeschieden wird. In Deutschland nimmt die Häufigkeit der Hepatitis A-Erkrankungen aufgrund verbesserter hygienischer Bedingungen ständig ab, die Hepatitis A gehört allerdings zu den wichtigsten "importierten" Viruserkrankungen (Höhne und Schreier, 2000).

Fäkal-oral übertragen werden auch die zum Genus Enterovirus in der Familie der Picornaviridae gehörenden Poliomyelitis-Viren. Infektionen mit den Verursachern der epidemischen spinalen Kinderlähmung (drei Serotypen mit nur geringer Kreuz-Immunität) sind in Europa und Nordamerika wegen des hohen Immunisierungsgrades durch Schutzimpfung drastisch zurückgegangen. Jedoch wird auch hier das Wiederauftreten einzelner Fälle durch nachlassende Impfbereitschaft beobachtet. In tropischen Ländern ist die Infektion noch relativ häufig; es erkranken vor allem Kleinkinder, zunehmend auch ältere Kinder und Erwachsene. Eine ZNS-Erkrankung tritt bei weniger als 1 % der Infizierten auf, so dass die Anzahl der Infizierten weit höher liegt. Auch andere Enteroviren (Coxsackieviren, Echoviren) erzeugen gelegentlich Enzephalitis (Mims et al., 1996).

Durchfallerkrankungen stellen weltweit ein großes gesundheitliches Problem dar und sind eine der häufigsten Ursachen des Sterbens von Kindern in den Entwicklungsländern. Ca. 40 % der Gastroenteritiden werden durch Rota-, Calici- und Adenoviren ausgelöst (Mead et al., 1999; Höhne und Schreier, 2000).

Zu den Small Round Structured Viruses (SRSV) gehören das Norwalk-Virus als der Prototyp des menschlichen Calicivirus und die Norwalk-like-Viren sowie die Sapporo-like-Viren. Letztere sind jedoch in ihrer Epidemiologie, im elektronenmikroskopischen Bild und in ihrer Genom-Organisation deutlich abweichend (Liu et a., 1995). Norwalk-like-Viren können in zwei Genogruppen unterteilt werden und weisen eine Heterogenität in ihren antigenen Eigenschaften auf (Myrmel und Rimstad, 2000). Nach Höhne und Schreier (2000) sind mehr als die Hälfte der von diesen Viren verursachten Gastroenteritiden, die vor allem in Alten- und Pflegeheimen, Krankenhäusern, Schulen, auf Kreuzfahrtschiffen sowie bei größeren privaten Feierlichkeiten vorkommen, Wasser- oder Lebensmittel-assoziiert. Die Autoren lassen offen, ob die scheinbare Zunahme der SRSV-Infektionen auf die verbesserte Diagnostik oder eine tatsächliche Zunahme durch einen weltweiten Handel mit möglicherweise kontaminierten Lebensmitteln zurückzuführen ist. In jüngster Zeit bei Schweinen (Sugieda et al., 1998) und Kälbern (van der Pool et al., 2000) nachgewiesene ähnliche Viren könnten Hinweise auf eine wechselseitige Übertragung zwischen Mensch und Tier geben.

Astroviren wurden bei verschiedenen Säuger- und Vogelarten mit Diarrhoe nachgewiesen. Bei Enten verursachen sie eine Hepatitis (Brinker et al., 2000). Beim Menschen, vor allem bei Kindern in den ersten 18 Lebensmonaten, verursachen sie Durchfallerkrankungen, aber auch bei älteren Menschen und bei Immunsupprimierten. Die Übertragung von Mensch zu Mensch erfolgt zumeist fäkal-oral, vermutlich auch über Aerosole. Auch kontaminierte Lebensmittel und Wasser sind als Infektionsquellen bekannt.

Die hochkontagiösen Rotaviren mit ihrer relativ hohen Tenazität sind weltweit die Hauptursache von Gastroenteritiden des Menschen. Infektionen gehen - vor allem in Ländern der sogenannten "Dritten Welt" - bei Kindern unter zwei Jahren mit beträchtlicher Morbidität und Mortalität einher. Lebensmittel- und Wasser-assoziierte Ausbrüche sind auch bei anderen Altersgruppen bekannt. Rotaviren werden in die Antigengruppen A bis G eingeteilt. Die Gruppen A, B und C werden beim Menschen, die Gruppen D bis G bei Schweinen, Schafen, Kühen, Ratten und Hühnern gefunden. Bei Mensch und Tier verursachen sie auch klinisch inapparent bleibende, persistierende Infektionen. Da sie wechselseitig zwischen Mensch und Tier übertragen werden können (vor allem die Guppen B und C), müssen sie als Erreger von Zoonosen betrachtet werden (Desselberger, 1997; Ramig, 1997). Rotaviren sind gut angepasste intestinale Parasiten. Schon zehn aufgenommene Partikel können eine Infektion hervorrufen. Die Inkubationszeit beträgt 1 bis 4 Tage. Nach der Virusreplikation in intestinalen Epithelzellen (terminal differenzierte Zellen an den Spitzen der Dünndarm-Villi) setzen plötzliches Erbrechen, manchmal stoßweise, und Diarrhoe ein. Das replizierende Virus schädigt Resorptions- und Transportmechanismen im Darm, Verlust von Wasser, Salz und Glukose führen zu Diarrhoe. Infizierte Zellen gehen zugrunde, unreife Zellen mit reduzierter Fähigkeit zur Resorption bleiben zurück. Über die Beteiligung des Nervensystems am massiven Flüssigkeitsverlust wurde kürzlich berichtet (Lundgren et al., 2000). Aus unbekannten Gründen sind neben Diarrhoeen respiratorische Symptome wie Husten und Schnupfen recht häufig (Mims et al., 1996). Durch den Verlust empfänglicher Zellen und die Ausbildung einer lokalen Immunität kommt es - im günstigen Fall - schließlich zum Stillstand der Infektion. Nachlassende Immunität bei älteren Personen kann zu Reinfektionen mit zum Teil schweren Erkrankungen führen. Ob persistierende (chronische) Rotavirus-Infektionen beim Menschen für die Aufrechterhaltung einer schützenden lokalen Immunität verantwortlich sind, oder ob diese durch den wiederholten Kontakt zu infizierten Organismen - oder auch durch den Kontakt mit kontaminierten, unzubereiteten Lebensmitteln tierischer Herkunft (!) - aufrechterhalten wird, ist nicht bekannt.

Von den 49 serologisch unterscheidbaren Typen der Adenoviren zählen die Typen 40 und 41 zu den enterischen Adenoviren, die - wiederum überwiegend bei Kindern - zu Magen- und Darminfektionen führen können. Häufig sind diese mit respiratorischer Symptomatik assoziiert. Die Übetragung kann direkt, aber auch fäkal-oral und über kontaminiertes Wasser erfolgen. Sie können über einen längeren Zeitraum mit dem Stuhl ausgeschieden werden.

Bis in die jüngste Zeit hinein blieb die klinische Bedeutung einer Kontamination von Lebensmitteln tierischer Herkunft mit Viren weitgehend unbekannt. Dies war in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die genannten Hepatitis-Viren wie auch die Mehrzahl der Erreger gastrointestinaler Störungen nicht - oder nur unter erheblichem Aufwand - in der Zellkultur, dem sensitivsten virologischen Nachweisverfahren, isoliert werden können. Die Verfügbarkeit spezieller Geräte, wie zum Beispiel des Elektronenmikroskops, vor allem aber die Entwicklung immunologischer und molekularbiologischer Untersuchungsmethoden mit hoher Spezifität und großer Sensitivität - Enzym-Immunoassays und (RT)PCR - lassen nun diese Problematik in einem anderen Licht erscheinen. So wird im Jahresbericht 2000 der Landesanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen Sachsens folgendes festgestellt:

"Im Berichtsjahr kam eine Vielzahl von Gruppenerkrankungen zunächst unklarer Genese zur Untersuchung, welche vorwiegend durch Durchfall und Erbrechen gekennzeichnet waren. Diese Proben wurden verstärkt auf virale Enterititiserreger untersucht. Insgesamt lässt sich die Erkenntnis ableiten, dass die Viren als Durchfallerreger zunehmend eine wichtige Rolle spielen und mit verstärkter Untersuchung auch ermittelt werden".

Nach diesem Bericht stehen - nach den Salmonellen - die Norwalk-like-Viren mit einem Anteil von 19,5 % (1.397 positive Nachweise im Berichtsjahr) an zweiter Stelle der nachgewiesenen Enteritis-Erreger, gefolgt von Rotaviren (11,4 %), Adenoviren (4,3 %) und Astroviren (0,7 %).

Im Hinblick auf den zunehmend beobachteten Anstieg einer Kontamination von Lebensmitteln mit Viren erscheint eine nachfolgend wiedergegebene Feststellung von Höhne und Schreier (2000) besonders wichtig:

"Grundsätzlich stellen Lebensmittel (tierische wie pflanzliche) keine Gefahr für die Gesundheit dar, wenn bei ihrer Produktion, Verarbeitung und Vermarktung auf die Einhaltung der Hygienevorschriften geachtet wird".

Nachfolgend stellen die Autoren jedoch - wie allgemein akzeptiert - fest, dass veränderte Produktionsbedingungen und ein weltweiter Warenverkehr die Ausbreitung von Krankheitserregern in Gebiete, in denen sie bisher nicht nachweisbar waren, begünstigen. Für die in den letzten Jahren beobachteten Zunahmen von Lebensmittelinfektionen machen die Autoren auch Änderungen der Ernährungsgewohnheiten verantwortlich:

"Unbehandelte, roh verzehrte Lebensmittel werden als "gesund", vorbehandelte Lebensmittel als "risikobehaftet" eingestuft".

Weiter weisen sie darauf hin, dass häufig auf einfachste Hygienemaßnahmen wie "Hände waschen" verzichtet wird und dass das heutige Warenangebot auch Waren aus Ländern umfasst, in denen nicht immer die europäischen Hygienevorschriften eingehalten werden. Daraus ergibt sich, dass bei Reisen in solche Länder rechtzeitig Schutzimpfungen vorgenommen werden sollten. Reiseprofis raten generell für Lebensmittel: Schälen, kochen, braten - oder vermeiden; nur abgefülltes oder abgekochtes (notfalls chemisch entkeimtes) Wasser sollte getrunken werden.

Literatur Berke, T. und Matson, D.O. (2000): Reclassification of the Caliciviridae into distinct genera and exclusion of hepatitis E virus from the family on the basis of comparative phylogenetic analysis. Arch. Virol. 145, 1421-1436.

Brinker, J.P., Blacklow, N.R. und Herrmann, J.E. (2000): Human astrovirus isolation and propagation in multiple cell lines. Arch. Virol. 145, 1847-1856.

Desselberger, U. (1997): Viral factors determining rotavirus pathogenicity. Arch. Virol. Suppl. 13, 131-139.

Höhne, M., und Schreier, E. (2000): Lebensmittelassoziierte Virusinfektionen. Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 43, 770-776.

B.L., Clarke, I.N., Caul, E.O., und Lambden, P.R. (1995): Human enteric caliciviruses have a unique genome structure and are distinct from the Norwalk-like viruses. Arch. Virol. 140, 1345-1356.

Lundgren, O., Peregrin, A.T., Persson, K., Kordasti, S., Uhnoo, I., und Svensson, L. (2000): Role of the enteric nervous system in the fluid and electrolyte secretion of rotavirus diarrhea. Science 287, 491-495.

P.L., Slutsker, L., Dietz, V., McCaig, L.F., Breese, J.S., Shapiro, C., Griifin, P.M. und Auxe, R.V. (1999): Food-related illness and death in the United States. Emerging Infectious Diseases 5, 607-625.

C.A., Playfair, J.H.L., Roitt, I.M., Wakelin, D., und Williams R. (1996): Medizinische Mikrobiologie, Deutsche Ausgabe, herausgegeben von Sören Gatermann und Michael Loos; Ullstein Mosby GmbH & Co. KG, Berlin/Wiesbaden 1996.

Myrmel, M. und Rimstad, E. (2000): Antigenic diversity of Norwalk-like viruses: expression of the capsid protein of a genogroup I virus, distantly related to Norwalk virus. Arch. Virol. 145, 711-723.

N. (2000): Jahresbericht der Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen des Freistaates Sachsen. 10. Jahrgang. Herausgeber:LUA Sachsen.

Ramig, R.F. (1997): Genetics of the rotaviruses. Ann. Rev. Microbiol .51, 225-255.

Sugieda, M., Nagaoka, H., Kakishima, Y., Ohshita, T., Nakamura, S. und Nakajima, S. (1998): Detection of Norwalk-like virus genes in the caecum contents of pigs. Arch. Virol. 143, 1215-1221.

Van der Poel, W.H.M., Vinjé, J., van der Heide, R., Herrera, M.-I., Vivo, A. und Koopmans, M.P.G. (2000): Norwalk-like calicivirus genes in farm animals. Emerging Infectious Diseases 6, 36-41.

Verfasser:
Dr. med. vet. Hermann Müller
Leiter der Fachgruppe "Virologie und Viruskrankheiten"
Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft e.V. (DVG)

Universität Leipzig
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